Am ersten Adventswochenende sprachen mein Mann und ich über den Kauf unseres diesjährigen Weihnachtsbaumes. Wir kaufen ihn seit einigen Jahren beim lokalen Bio-Bauern. Mein Mann sagte zu mir, er würde den Baum dieses Jahr gerne früher kaufen, damit wir länger etwas davon haben. ‚Was meinst du mit früher?‘, fragte ich. Er wollte ihn gerne schon in der zweiten Adventswoche kaufen und aufstellen.
Ich bin so aufgewachsen, dass der Weihnachtsbaum erst am 23.12. aufgestellt wird, wir Kinder ab diesen Tag nicht mehr ins Wohnzimmer dürfen und er erst am 24.12. angezündet werden darf. Daher konnte ich mir das überhaupt nicht vorstellen, obwohl ich zugeben musste, dass ich es eigentlich ganz gemütlich finden würde. Aber das macht man doch nicht! ‚Warum nicht?‘, kam die unvermeidliche Gegenfrage. Darauf hatte ich keine Antwort, außer, dass wir es noch nie so gemacht haben und ich gar nicht einsehe, warum wir das ändern sollten.
Dann mussten wir beide lachen. Wenn ich diese Sätze bisher auf der Arbeit hörte, wunderte ich mich immer, warum sie den Menschen scheinbar so leicht über die Lippen kommen und ob sie sie nicht hinterfragen. Ich war bis zu diesem Tag der Meinung, dass ich die Worte „Das macht man nicht!“ und „Haben wir schon immer so gemacht“ nie verwenden würde. Aber offensichtlich gibt es auch bei mir Themen bei denen ich mich auf Verlässlichkeit und Tradition freue und diese Sätze rein emotional ausspreche.
Die Frage danach, ob wir den Weihnachtsbaum nicht auch früher aufstellen können, um länger etwas davon zu haben, ist für mich synonym mit vielen Fragen, die wir uns in der sich rasant entwickelnden Arbeitswelt stellen. Home-Office und flexible Arbeitszeiten sind bei vielen Unternehmen schon durchdiskutiert. Elternzeit für Männer, die länger als zwei Monate dauert und offizielle Lernzeit hingegen stoßen meist noch auf wenig Akzeptanz. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies ebenfalls keine rationalen, sondern genauso unreflektierte und emotionale Entscheidungen, wie meine Antwort auf die Weihnachtsbaum-Frage, sind.
Weihnachten als traditionelles Ereignis ist stark reglementiert. Da gibt es das traditionelle Essen, die traditionelle Weihnachtsgeschichte und es werden natürlich Geschenke überreicht. Wie viel Konfliktpotenzial das hat, wisst ihr wahrscheinlich alle selber. Je nach Familienkultur ist man in der Lage darüber zu sprechen und gemeinsam eine Lösung zu finden oder man ordnet sich unter. Für manche ist Weihnachten ein Spießroutenlauf, andere klinken sich komplett aus. Also wie in der digitalen Transformation auch.
Bedürfnisse werden nicht formuliert oder nicht gehört. Kommunikation findet entweder nur auf Irrwegen oder gar nicht statt. Man will weiterhin Bestandteil des (Familien-)Systems sein, also lehnt man sich lieber nicht zu weit aus dem Fenster. Je nach Machtverhältnissen wird auch eben mal moralischer Druck aufgebaut. Ich höre immer wieder von Menschen in meinem Alter, dass es ihnen zu viel wird durch die Gegend zu reisen, um auch wirklich alle Omas, Opas, Eltern, Geschwister sowie Onkel und Tanten an diesen drei Tagen zu sehen. Auch das Überreichen von Geschenken steht zunehmend im Hintergrund stattdessen wünscht man sich lieber einen schönen gemeinsamen Abend oder gemeinsame Erlebnisse. Da prallen Lebens- und Wertvorstellungen aufeinander!
Eine Führungskraft, die sich jahrelang abgemüht und viel gearbeitet hat, will ihre Position nicht einfach aufgeben, nur weil jetzt alle selbstorganisiert arbeiten. Außerdem ist es anstrengend sich mit jedem individuell auseinander setzen zu müssen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Einfach um 17.00 Uhr den Stift fallen zu lassen und Feierabend zu machen, ist für viele Angestellte ebenso sehr reizvoll, anstelle Verantwortung übernehmen zu müssen und dann auch mal länger zu bleiben.
Diese ganze traditionelle Unternehmenskultur sowie Hierarchie haben doch auch etwas Verlässliches und Kuscheliges. Man muss wenig nachdenken, weil es in gewohnten Bahnen geht. So oder so ähnlich muss es der älteren Generation gehen, wenn die Kinder das ganze Weihnachtsritual in Frage stellen.
Wie können wir auch in der digitalen Transformation ein Klima schaffen, dass Kommunikation ermöglicht und das Äußern von Bedürfnissen und Gefühlen erlaubt sind? Wie wird denjenigen geholfen, altes Liebgewonnenes loszulassen, um was „Neues Gemeinsames Anderes“ zu schaffen? Wie können Strukturen geschaffen werden, dass anderes Verhalten für Innovation möglich ist, ohne vom System abgelehnt oder sogar ausgeschlossen zu werden?
Am Ende wünschen wir uns doch alle, dass wir harmonisch unter dem Weihnachtsbaum sitzen. Dazu ist es jedoch nötig, dass wir keine Angst vor Konflikten haben, aus falscher Zurückhaltung unsere Bedürfnisse verschweigen und ein offenes Ohr für die Wünsche der lieben Familie haben. Dann kann sich das Familienweihnachtsfest weiterentwickeln und was tolles Neues entstehen. Ich werde auf jeden Fall zukünftig genauer hinhören, wenn jemand zu mir sagt „das macht man nicht“. Nachdem ich mich selbst eiskalt erwischt habe, will ich versuchen besser zu verstehen und besser zu zuhören.
In diesem Sinne wünsche ich euch besinnliche Tage. Kommt gut ins neue Jahr und happy Transformation!