Vor einigen Wochen besuchte ich eine Veranstaltung zu dem Thema, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Personalentwicklung in Unternehmen hat. Inhalt des Vortrags war unter anderem, dass sich das Wissen sehr schnell weiterentwickle. Früher wäre es so gewesen, dass die Abteilung für Personalentwicklung gewusst hätte, welches Wissen zukünftig für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter relevant gewesen sei und ein entsprechendes Konzept anbieten konnte. Dies sei heute nicht mehr so. Mitarbeiter müssten selbst entscheiden was und wie sie lernen.
Selbstgesteuertes Lernen als Erfolgsfaktor
Ich stimme zu, dass sich Wissen im Rahmen der Digitalisierung schneller weiterentwickelt und es auch eine immense Auswahl an Themen gibt, die verfügbar sind. Fraglich finde ich jedoch, die Haltung, dass der Mitarbeiter selbst entscheidet was und wie er lernt, wenn es gleichzeitig die Anforderung ist, dass das Gelernte dem Unternehmen nützlich sein soll. Daher nehme ich dieses Thema in meinem Blog auf, um ein paar Gedanken dazu zu teilen. Wenn Mitarbeiter selbstorganisiert lernen können, ist diese Fähigkeit ohne Zweifel ein großer Erfolgsfaktor für das Unternehmen. Ich vermute jedoch, dass dies nicht jedem in die Wiege gelegt ist und es hier etwas Unterstützung bedarf. Unser Bildungssystem bietet institutionell kaum Themen an wie „Lernen lernen“, „Quellenbewertung“ oder „Einordnung von Informationen in den Kontext“. Letzteres mag noch entfernt Erinnerungen an den Deutschunterricht wecken. Anhand von zwei Beispiele erläutere ich worauf ich hinaus will.
Herausforderungen des selbstgesteuerten Lernens
In Zeiten von Fake News ist es schwer zu unterscheiden, was ist wahr und was nicht. Aus dem Skandal um Cambridge Analytica im Zusammenhang mit dem Wahlergebnis von Trump und der dazu genutzten Daten aus Facebook dürfte jedem klar geworden sein, welcher Einfluss auf Menschen genommen wird mithilfe von Datenanalyse und dem gezielten Schalten von Anzeigen. Ich behaupte, dass nicht nur „dumme“ Menschen sich von diesen Fake News haben leiten lassen, sondern durchaus auch einige gebildete Menschen, die einfach nicht mehr in der Lage waren in dem Datendschungel zu unterscheiden, was wahr und was falsch ist.
Als zweites ein ganz persönliches Beispiel. Ich habe mich autodidaktisch in agile Methoden eingearbeitet und vor dem Hintergrund meiner Recruitingerfahrung, interessiert mich natürlich das Thema agiles Recruiting. In diesem Zusammenhang bin ich auf ein Buch gestoßen, welches in einem namenhaften (aus meiner Sicht eigentlich vertrauenswürdigen) Verlag zu diesem Thema erschienen ist. Schockiert war ich über den Klappentext, der ungefähr so lautete:
Die Praxis konnte von dem strukturierten Einstellungsgespräch nicht überzeugt werden, daher muss nun was Neues her. Agile Personalauswahl bietet einen neuen Ansatz.
Ich habe das Buch nicht gelesen, daher kann ich nicht abschließend beurteilen wie mit dem Thema umgegangen wurde. Jedoch bin ich hellhörig geworden, da gerade erst wieder ein wissenschaftlicher Artikel erschienen ist, der erneut darauf hinweist, dass in Punkto Validität nun mal das hochstrukturierte Interview am besten ist, um eine valide Aussagefähigkeit zu erhalten. Einem Buch welches von einem Berater geschrieben wurde und nun valide Personalauswahl als agile Personalauswahl ohne hochstrukturiertes Interview darstellt, bin ich daher grundsätzlich erstmal skeptisch gegenüber eingestellt.
In diesem Fall stellt sich die Skepsis aufgrund meines Fachwissens ein. Was jedoch, wenn ich weniger Hintergrundwissen gehabt hätte? Agilität ist schließlich in aller Munde, die Arbeitsweise gefällt mir persönlich sehr gut, inklusive der dahinter stehenden Werte. Also normalerweise hätte ich mich doch gefreut, wenn es jetzt eine valide Möglichkeit gäbe Agilität und Validität in der Personalauswahl zu verbinden. Vielleicht hat es dieses Buch geschafft, wer weiß. Der Klappentext lässt jedoch vermuten, dass zumindest das hochstrukturierte Interview kein Teil der im Buch dargestellten Methodik ist.
Rahmenbedingungen für selbstgesteuertes Lernen in Unternehmen
In der Veranstaltung habe ich dem Referenten die Frage gestellt wie es seine Mitarbeiter denn beim selbstorganisierten Lernen begleitet. Er antwortete, dass ein Mal im Jahr in einem Gespräch nachgefragt wird, welche Lernerfahrungen hilfreich waren und welche nicht. Das finde ich auf jeden Fall nicht ausreichend.
Grundsätzlich finde ich den Gedanken des selbstorganisierten Lernens gut und verstehe auch warum er vor dem Hintergrund der Digitalisierung noch wichtiger geworden ist. Als Diplom-Pädagogin weiß ich schon seit Jahren, dass Menschen am besten das lernen, was für sie anknüpfungsfähig ist und aktuell Relevanz hat. Ich kann mir das vor meinem inneren Auge sogar richtig gut vorstellen. Es gibt einen Themenspeicher (Backlog wie es im Scrum Prozess genannt wird) in dem jeder Mitarbeiter die für ihn relevante Weiterbildungsthemen sammelt. Er sucht sich das raus, was ihm als nächstes sinnvoll erscheint und setzt sich einen Zeitrahmen (Sprint) in dem er es sich angeeignet haben will. Am Ende reflektiert er mit seinem Chef wie sich das auf seine Arbeit ausgewirkt hat (Review) und reflektiert wie es ihm selbst im Lernprozess ergangen ist (Retro). Das agile Scrum Framework eignet sich also ideal für selbstorganisiertes Lernen.
Ich behaupte nur, dass sich hier die Aufgabe der Personalentwicklung zu einer Art Lernbegleiter entwickeln muss. Es geht um Fragestellungen wie:
- Welche Quellen sind vertrauenswürdig?
- Welche Verlage/Internetseiten sind welchen politischen Lagern zu zuordnen?
- Wie unterscheide ich Fake News von echten Nachrichten?
- Welche Lernformen sind neben den klassischen Wegen zu lernen in Zeiten der Digitalisierung dazu gekommen und welche davon eignen sich für mich am besten?
Auch hinsichtlich Lernmethoden kann die Personalentwicklung unterstützen, wie z.B. mit dem Lerntagebuch, welches sich hervorragend für solche Lernsettings eignet. Hier könnte ein Leitfaden erarbeitet werden und zur Verfügung gestellt werden. Oder im Sinne von Working Out Loud könnte Wissen zur Erstellung eines eigenen Blogs vermittelt werden. Darüber hinaus könnte eine Übersicht und Einordnung der verschiedenen Lernplattformen (neben YouTube, auch TED Talk, Coursera oder Skillshare) den Mitarbeitern an die Hand gegeben werden.
Vernetztes Lernen in Unternehmen
Nicht zuletzt wäre auch der Gedanke interessant, dass selbstorganisiertes Lernen nicht nur als Individuum geschehen kann, sondern im Rahmen der Digitalisierung auch neue Lernformate für Gruppen entstanden sind, die die unternehmensinterne Vernetzung stärken können. Neben einem Working Out Loud Circle kann z.B. auch die sogenannten Community of Practice eine Form des gemeinsamen Lernens sein.
Aus meiner Sicht sind also folgende Dinge wichtig im Rahmen der Personalentwicklung in Zeiten der Digitalisierung.
- Vermittlung von Methoden des selbstgesteuerten Lernens
- Vermittlung von Methoden zur Selbstreflexion (damit ich erstmal weiß, was ich überhaupt lernen möchte/muss/sollte)
- Fähigkeiten zur Recherche/Quellenbewertung
- Relevante IT-Kenntnisse zur Wissensaneignung
- Datenschutz
- IT-Sicherheit
- Initiierung und Unterstützung von vernetztem zusammen Lernen
So könnte moderne Personalentwicklung vor dem Hintergrund der Digitalisierung in meinen Augen heute in Unternehmen aussehen.