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Warum Recruiting ein Produkt ist

Im Rahmen der digitalen Transformation habe ich mich gefragt, ob Recruiting auch ein Produkt im agilen Sinne ist. Gerade da wir in einige Bereichen an dem Punkt angekommen sind, dass Unternehmen nicht mehr die Freiheit haben, sich einfach für einen Bewerber zu entscheiden, sondern sich teilweise stark um ihre Wunschkandidaten bemühen müssen

Agile Arbeitsweisen bestehen aus dem Austesten sowie Validieren von Hypothesen, dem Experimentieren und dem Schaffen eines Mehrwerts für den Kunden. Kundenmehrwert in dem Sinne: Wie kann es geschafft werden, dass es für den Endnutzer eine Freude ist, das Produkt zu nutzen. Recruiting dagegen wird zumeist noch in Old School Arbeitsweisen erledigt. Hier steht im Mittelpunkt: was verursacht wenig Arbeitsaufwand und wie kann dafür gesorgt werden, dass nicht zu viel Bewerbungen reinkommen. Viele Recruiting-Experten wissen, dass sich das ändern muss. Die Sichtweise Recruiting als Produkt zu behandeln, kann diesen Verbesserungsprozess unterstützen.

Recruiting auf Augenhöhe

Es ist eine naive Denkweise, dass der Arbeitgeber, dadurch, dass er ein Gehalt anbietet, eine Machtposition hat. Das mag ggf. noch bei einfachen Tätigkeiten funktionieren, jedoch nicht bei anspruchsvollen Positionen in der das persönliche Wissen, die eigene Erfahrung und die individuelle Denkweise der Kandidaten ausschlaggebend sind. Wenn Recruiting als Produkt behandelt wird, kann der Prozess in Iterationen am Kundenmehrwert weiterentwickelt werden. Dies sollte auf datengetriebener Basis geschehen. Es ist die Frage zu stellen: „Wie können wir das Leben für alle Beteiligten einfacher machen, für den Bewerber und für die Fachbereiche unseres Unternehmens? Wie können die Kandidaten uns finden, da wir nicht die Einzigen am Markt sind? Wie können wir es den Kandidaten einfacher machen, sich zu bewerben? Wie sieht ein Recruitingprozess aus, der es uns erlaubt, sich selbst gut zu organisieren und dem Kandidaten ein Gefühl von Fairness und Respekt zu geben?

Gerade diese letzte Frage bewegt mich besonders, weil ich selber so unfassbare Erfahrungen gemacht habe, mich nicht fair und mit Respekt behandelt gefühlt habe. Daher ist es mir wichtig, dass jeder Kandidat eine faire Chance erhält. Außerdem geht es in einem Recruitingprozess aus meiner Sicht darum, sich als Unternehmen zu entscheiden mit welchem Kandidaten eine Beziehung eingegangen werden soll. Dies gilt jedoch auch andersherum. Wenn Unternehmen Kandidaten anziehen wollen, die leistungsorientiert, kommunikativ und offen sind, muss das Unternehmen sich auch selbst so verhalten.

 Warum ist Recruiting ein Produkt?

In einem Produkt geht es darum, dass wir dem Kunden einen Endnutzen anbieten. Ein Produkt ist dafür da, unser Leben einfacher zu machen. Das Gleiche gilt auch für Recruiting. Recruiting ist nicht mehr ausschließlich dafür da, um zu selektieren, sondern auch, um sich als bestmöglicher Arbeitgeber zu positionieren. Wie bei einem Software-Produkt sollte auch im Recruiting immer wieder regelmäßig darüber nachgedacht werden, welche Features noch eingebaut werden können, um es einfacher zu machen.

Recruiting ist auch in dem Sinne ein Produkt, weil es allen Anforderungen unterliegt, die jedes agile Softwareentwicklungsteam hat. Z.B. Planning: Wie viele Leute können wir eigentlich einstellen? Welche Positionen haben Vorrang? Welche Anforderungen haben die Teams? Da geht es um Transparenz, damit wir nicht einfach nur Zeit vergeuden, um Menschen einzustellen.

Menschen haben eine gute Erinnerung. Z. B. wenn man in verschiedene Läden oder Boutiquen geht, hat man auch eine bestimmte Erwartungshaltung. Macht man die Erfahrung, dass man dort schlecht behandelt wird, geht man in diese Läden nicht wieder zurück, egal wie toll das Produkt ist. Teil des Produktes, welches gekauft wird, ist der Verkauf und wie man behandelt wird. Nichts anderes passiert, wenn Bewerber einen schlechten Bewerbungsprozess durchlaufen.

Recruiting ist kein HR-Thema, sondern ein unternehmensweites Thema

Wie bei einem Produkt muss im Recruitingprozess verstanden werden: Wo springen die Bewerber (User) ab? Worauf haben die einfach keine Lust? Wo haben wir als Arbeitgeber Punkte damit unsere Kandidaten sagen, dass sie das Unternehmen richtig toll finden? Und wie kann ich mit einem crossfunktionalen Team zusammenarbeiten? Recruiting ist ein Unternehmensprozess, ein firmenweites Thema und kein HR-Thema. Daher müssen alle Beteiligten dazu beitragen, dass die oben genannten Fragen beantwortet werden. Das Unternehmen sollte ein größtmögliches Interesse daran haben, dass der Prozess so gut wie möglich ist, da dieser definiert, wer zukünftig in dem Unternehmen arbeitet. Ich sehe Recruiting jedoch als eines der Gebiete, welches am meisten unterschätzt wird. Das ist insofern prekär, weil die besten Talente nur gewonnen werden können, wenn man einen sehr guten Prozess hat.

Operationelle Themen wie das Erstellen von Stellenanzeigen oder Arbeitsverträgen sind sicherlich eine Dienstleistung. Recruiting insgesamt ist jedoch zu crossfunktional, um eine Dienstleistung zu sein. Eine Dienstleistung kann nur erbracht werden, wenn man davon ausgeht, dass der Fachbereich sich mit dem Recruiting auskennt. Das tut er aber nicht. Eine Dienstleistung wäre Recruiting, wenn die Fachbereiche es End-to-End alleine durchführen könnten und HR nur einzelne Zulieferarbeit erledigt.

Recruiting als Produkt für unternehmensinterne Argumentation

Den Recruitingprozess kontinuierlich zu evaluieren, ist wichtig, um rechtzeitig intervenieren zu können, wenn der Ablauf nicht mehr optimal oder schlicht nicht mehr zeitgemäß ist. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass man mit einer immer gleichbleibenden Vorgehensweise, nicht kontinuierlich die besten Kandidaten gewinnen wird. Hier ist Kreativität und Ausprobieren gefragt.

In der agilen Terminologie gibt es außerdem etwas, das nennt sich „Cost of lost opportunity“. Ein Beispiel im Recruiting wäre, wenn sich z. B. 100 Leute für eine Stelle interessieren, aber nur 50 davon den Bewerbungsprozess abschließen. Kandidaten validieren uns als Unternehmen ebenfalls, nicht nur wir sie. Wenn sie uns im Laufe des Prozesses aufgrund des Ergebnisses zu dem sie gekommen sind, verloren gehen, ist das genau die Argumentation des Cost of lost opportunity. Häufig ist die Argumentation des Unternehmens, dass sie aber nur jemanden haben wollen, der wirklich Lust auf das Unternehmen hat. Fakt ist jedoch, diese Menschen haben einfach ein anderes Unternehmen gefunden wo es angenehmer ist. Wir sollten daher wissen: Wie viele richtig gute Leute gehen uns eigentlich verloren? Häufig fällt es Personalern schwer, intern für mehr Budget und/oder Ressourcen zu argumentieren. Diese Kennzahl könnte ein Ausgangspunkt sein.

Die Menschen mit denen gar nicht gesprochen wurde, kennen darüber hinaus die tolle Story des Unternehmens nicht, warum es sich lohnt, dort zu arbeiten. Das sind Menschen, die das Unternehmen auch empfehlen könnten, selbst, wenn sie sich am Ende aus bestimmten Gründen dagegen entscheiden. Daher ist es wichtig, mit allen Kandidaten einen positiven Kontakt zu gestalten und nicht nur mit den Wunschkandidaten für den man sich am Ende entscheidet.

Ohne zu wissen wie schlecht der aktuelle Recruitingprozess ist, wird bei niemanden der Gedanke entstehen, sich verbessern zu wollen. Daher ist es wichtig sich die folgenden Fragen zu stellen: Wie kann ich Sachen besser machen? Wie kann ich schneller werden? Wie kann ich effizienter recruiten? Wie kann ich mit herausfinden, wie gut mein Recruitingprozess ist?

Kostenreduzierung, Effizienz und Teamarbeit im Recruiting

Wie in jedem Unternehmensprozess, so ist es auch im Recruiting wichtig, dass Kosten gespart werden, die Effizienz erhöht wird und die Teams gut zusammenarbeiten. Das ganze Unternehmen profitiert davon, wenn diese Verantwortung ernst genommen wird: Daher sind folgende Fragen wichtig für den Prozess wichtig:

  • Wie lange brauchen wir, um jemanden einzustellen?
  • Wie lange dauert die Vertragsgestaltung?
  • Was hat es gekostet, diese Person einzustellen?
  • Haben wir eine Agentur buchen müssen oder war es eine Direktbewerbung?

Das Erheben von Kennzahlen ist dafür da, das Produkt Recruiting besser zu machen und Argumentationspunkte zu haben, warum wir besser werden müssen. Wie kommt es eigentlich, dass wir Zeitraum X brauchen, um jemanden einzustellen? Wir wollen das auf Zeitraum Y reduzieren. Mögliche Schritte, um das zu erreichen, sind z. B., dass Kandidaten schneller eingeladen werden oder der Betriebsrat schneller zustimmt und so verbessert sich das Produkt.

Fazit

Aus meiner Sicht sprechen alle Argumente dafür Recruiting als Produkt zu behandeln. Weg von Dienstleistung hin zur Zusammenarbeit in crossfunktionalen Teams und kontinuierlicher Verbesserung. Wenn wir die Kernfrage beherzigen: „Wie können wir das Leben für alle Beteiligten einfacher machen?“ haben wir die echte Chance diesen stiefmütterlich behandelten Prozess tatsächlich aus seinem Aschenputtel-Dasein zu befreien.

 

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