Agilität ist in aller Munde, schwappt immer mehr auch in andere Tätigkeitsbereiche über und ist schon lange nicht mehr hauptsächlich in der IT verankert. Die Grundprinzipien finden in der breiten Masse Anklang, selbst große Konzerne widmen sich diesem Thema und versuchen, ihre Organisation entsprechend zu verändern und neu aufzustellen. Von außen hört sich das alles ganz toll an und eigentlich müsste doch jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin sofort begeistert sein, wenn sie von den agilen Prinzipien und Arbeitsweisen hören? Was kann ich persönlich tun, um diese Veränderung in mein Arbeitsumfeld zu bringen?
Vielleicht kennen Sie das? Sie haben sich in das Thema Agilität eingelesen, Sie haben sich ein Netzwerk zu diesem Thema aufgebaut und Sie durften die ersten Erfahrungen sammeln. Auf einmal fangen Sie überall in Ihrem Unternehmen an zu sehen, was mit mehr Agilität (Methodik und Einstellung) bewirkt werden könnte. Es juckt Ihnen förmlich in den Fingern, etwas zu bewegen und endlich loszulegen. Wie können Sie anfangen? Dazu habe ich hier meine Erfahrungen sowie die aus meinem direkten Umfeld zusammengefasst.
Fangen Sie bei sich an und sprechen Sie darüber
Sie könnten beispielsweise in Ihrem Büro ein Kanban-Board oder Scrum-Board aufhängen und einfach anfangen, damit zu arbeiten. Seien Sie sicher, dass viele Kollegen neugierig sein werden, was Sie da eigentlich machen. Dann erklären Sie das Prinzip dahinter und was Ihre persönliche Motivation ist. Ich z. B. mag daran, dass ich sehen kann wie viel ich schon geschafft habe, wenn die Klebezettel in der „erledigt“-Spalte angekommen sind. Das gibt mir ein gutes Gefühl, denn ich fühle mich produktiv.
Wenn es sich in Gesprächen ergibt, berichten Sie von Ihren Erfahrungen mit agilen Arbeitsweisen und wenn Sie auf einem Netzwerktreffen dazu waren, berichten Sie von Ihren neusten Erkenntnissen. Was fanden Sie spannend? Was wollen Sie als Nächstes ausprobieren?
Freuen Sie sich über Interesse und machen Sie neugierig
Wenn Sie lange genug darüber sprechen und das nicht belehrend, sondern einfach, weil Sie selbst so tolle Erfahrungen gemacht haben und diese teilen möchten, kann es passieren, dass kleine Veränderungen zu erkennen sind. Z. B. fängt ein Kollege in seinem Büro an auf einem Flipchart seine to do Liste öffentlich zu machen oder eine Kollegin fragt, darf ich auf das nächste Netzwerktreffen mal mitkommen? Solche kleinen Initiativen können der Start sein und Signale dafür, dass die Kollegen neugierig werden. Versuchen Sie, die Kollegen zu bestärken indem Sie an diesen Initiativen interessiert sind und neugierige Fragen stellen, um in den Austauschen zu kommen.
Seien Sie transparent und sprechen Sie über die Ziele und die Vorteile
Wenn die Neugier geweckt ist, versuchen Sie Zeitfenster zu finden, in denen Sie beginnen können gemeinsam mit dem Team zu arbeiten. Vielleicht erhalten Sie nun die Gelegenheit im Teammeeting kleine Miniretros durchzuführen oder kleine Lernaufgaben zu stellen. Wenn das Team so etwas noch nie gemacht hat, ist es wichtig, dass Sie erklären, welchen Sinn diese kleinen Übungen haben. Warum machen wir das? Welches Ziel verfolgen wir damit? Was wollen wir im Team erreichen? In den meisten Organisationen wurde schon zu viel über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden, daher kann das Misstrauen groß sein. Schreiben Sie sich am besten vorher die Antworten dazu auf, holen Sie sich die Zustimmung des Teams, dass diese Ziele auch für sie erstrebenswert sind.
Machen Sie Wünsche sichtbar
Gerade in bisher sehr hierarchischen Unternehmen bzw. allgemein auch in größeren Unternehmen kann es sein, dass die Kollegen ihre Wünsche nicht klar formulieren, weil sie es nicht gewohnt sind, danach gefragt zu werden. Viele Kollegen haben sich ggf. mit der Situation abgefunden und ihre ganze Eigeninitiative und ihre Motivation kommt erst im Privatleben zum Tragen. Fragen danach wie wie wir zukünftig arbeiten wollen, sind dann einfach riesig. Wählen Sie eine agile Methodik aus, gestalten Sie dazu einen Workshop und es ist gut möglich, dass Sie herausfinden, dass die Kollegen Wünsche haben, die genau mit der von Ihnen ausgewählten Methodik einher gehen. Freuen Sie sich darüber und planen Sie den nächsten Schritt.
Erkennen Sie jeden Fortschritt an
Auch wenn ihr Workshop erfolgreich war, alle begeistert von Ihrer Methode sind und sofort anfangen wollen, kann es nach dem Abflauen der ersten Begeisterung und unter dem Druck des Tagesgeschäftes dazu kommen, dass sich doch Wiederstände auftun. Sie merken auch, das Team fängt nicht an, es kommt keine Eigeninitiative, obwohl alle so begeistert waren. Nehmen Sie das nicht persönlich und glauben Sie auch nicht, dass das heißt, dass das Team kein Interesse hat. Es ist ganz normal, dass es zwei Schritte vorgeht und dann auch wieder einen zurück. Hier ist wirklich Durchhaltevermögen gefragt. Bleiben Sie dran indem Sie weiterhin Ihr eigenes Kanban-Board pflegen, weiterhin über Ihre Erfahrungen und Ihren Austausch sprechen und weiterhin die gemeinsamen Ziele thematisieren. Veränderung braucht Zeit, Verhalten zur Gewohnheit zu machen ebenfalls. Vielleicht entwickelt sich an dieser Stelle auch etwas anderes. Das Team pflegt kein gemeinsames Kanban-Board, aber schreibt auf Post-its auf, wer welche Aufgabe übernimmt und klebt diese an eine Metaplanwand im Büro.
Stellen Sie den Rahmen zur Verfügung
Wenn irgendwo wieder der Wunsch auftaucht und eine Kollegin oder ein Kollege äußert, dass es doch toll wäre, wenn …, greifen Sie das auf. Sie können sagen: „ja finde ich auch, mach doch mal“ oder „ja finde ich auch, wann wollen wir anfangen?“ und organisieren dann den Start. Mir ist wichtig, dass die Initiative vom Team selbst kommt und es auch eine intrinsische Motivation gibt, die Dinge zu tun, die getan werden. Jedoch sehe ich mich auch in der Rolle des Möglichmachers, indem ich Informationen teile, von meinen positiven Erfahrungen berichte und versuche anzustecken, das Team ermutige oder Ideen aufgreife und dafür sorge, dass sie stattfinden. Dies tue ich mit dem Bewusstsein, dass ich einen Wissensvorsprung habe und dass ich weiß, dass es schwierig ist, aus Gewohnheiten auszusteigen, selbst wenn einem klar ist, dass es hilfreich wäre.
Natürlich geht es bei Agilität hauptsächlich um die damit verbundene Einstellung. Mit der Einführung einer Methodik ist es jedoch möglich, dass alle gemeinsam Erfahrungen sammeln und dadurch auch ihre eigene Einstellung ändern. Methodik gibt außerdem Sicherheit. Wir Menschen haben in der Regel gerne Strukturen, an denen wir uns entlang hangeln können, die es uns leichter machen, unsere Arbeitsweise zu verändern. Daher finde ich die Vorgehensweise, einfach mit einer Methode anzufangen, ohne das Team bei der Auswahl der Methode einzubeziehen, eine gute Möglichkeit, zu starten. Es muss natürlich immer Platz für eine Anpassung und eine Diskussion sein. Vielleicht beginnt man auch mit einer Testphase. Ich glaube jedoch daran, dass bestimmte Leitplanken den Start erleichtern können, weil sie Sicherheit bieten und dass mindestens eine Person diese Leitplanken auch verkörpern sollte. Schließlich gibt es im Scrum Model nicht umsonst auch einen Scrum Master, der auf die Einhaltung der Vorgehensweise achtet und dem Team auch die Hindernisse aus dem Weg räumt. So verstehe ich auch meine Rolle, wenn ich das zarte Pflänzchen Agilität bei meinen Kollegen sähen will.
Fazit
Alte Verhaltensweisen legt man nicht so schnell ab, nur weil einer jetzt sagt, dass es zukünftig gewünscht ist, sich einzubringen. Es wird auch nicht plötzlich mehr Verantwortung übernommen, weil die Angst zu groß vor Fehlern ist und es so lange kein Bestandteil der eigenen Arbeit war. Es ist ein System, welches für alle lange funktioniert hat, in dem sich alle eingerichtet haben und welches von jedem Beteiligten aus verschiedenen Gründen nicht verlassen wurde. Auch wenn man nicht immer glücklich damit war.
Ich habe immer gerne von Vorbildern gelernt. Ich habe mich auch gefreut, wenn mich jemand bei den ersten Schritten an die Hand genommen hat und mir gezeigt hat, wie es gehen kann. Das ist das Angebot, welches ich meinen Kollegen machen möchte. Einfach anfangen und hoffen, dass sich das Feuer entfacht, nicht aufgeben und Unterstützung anbieten.
So wie es im agilen Arbeiten üblich ist, Schritt für Schritt vorzugehen, ist es aus meiner Sicht notwendig auch bei der Einführung Schritt für Schritt vorzugehen. Mit kleinen Aufgaben beginnen und diese gemeinsam besprechen. Sich erstmal im geschützten Rahmen des Teams ausprobieren, bevor man mit seinem neuen Verhalten auch nach Außen tritt.
Ich freue mich über Ihre Meinung, welche Erfahrungen Sie gemacht haben, Agilität aus der Mitte des Teams heraus ins Unternehmen zu bringen. Mit welchen meiner Erfahrungen stimmen Sie überein? Was sehen Sie anders? Schreiben Sie einen Kommentar oder eine persönliche Nachricht an mich.
Für dieses Jahr ist das mein letzter Blogbeitrag. Ich wünsche Ihnen eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Rutsch. Mein nächster Beitrag wird am 07.01.2019 erscheinen.