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Nachtrag zum Weltfrauentag und Equal Pay Day

Eigentlich hatte ich keinen expliziten Blogbeitrag zum Equal Pay Day oder Weltfrauentag geplant. Jetzt möchte ich doch noch nachträglich einen schreiben. Und zwar aus folgendem Grund: wenn sich gefühlt zwei Mal im Jahr die Welt mit dem Thema Gleichstellung und gleiche Bezahlung zwischen Männern und Frauen beschäftigt, ein Thema, welches mich und viele andere durch das ganze Jahr begleitet, entstehen punktuell viele Diskussionen, die aus meiner Sicht das ganze Jahr über notwendig wären. So bin auch ich durch die vielen Beiträge in einige Diskussionen verwickelt worden und es ist der Wunsch in mir entstanden, nachträglich hier nochmal meine Sicht auf die Dinge zusammen zu fassen.

Rückblick

Schauen wir mal zurück. Viele von uns haben vergessen, was noch gar nicht so lange her ist. Erst seit 100 Jahren dürfen Frauen wählen. Die Generation meiner Mutter musste noch Anfang der 70er formell die Erlaubnis ihres Ehemanns einholen, um arbeiten gehen zu dürfen. Die Gründe, warum wir bis heute noch nicht so weit gekommen sind, wie es wünschenswert wäre, liegen meines Erachtens in der Sozialisation, der Erziehung, dem unconscious Bias sowie in macht- und mikropolitischen Strukturen. Darauf will ich in diesem Artikel nochmal eingehen, in der Hoffnung, dass wir im Anschluss in die Zukunft schauen können und gemeinsam überlegen, wie wir dieses Thema weiter vorantreiben können. Jede und jeder von uns hat in dieser Hinsicht eine Verantwortung.

Bis heute ergeben sich aus meiner Sicht zwei sehr wichtige Themen vor diesem historischen Hintergrund:

  • Ungleiches Einkommen in einer Partnerschaft führt sehr häufig zu einem ungleichen Machtverhältnis in der Beziehung. Dies erschwert das Vorankommen mit dem Thema Gleichstellung zusätzlich.
  • Die gesellschaftlichen Strukturen sind nach wie vor männlich geprägt und es wird von der Frau erwartet, sich anzupassen anstatt dass die Strukturen so geändert werden, dass eine tatsächliche Gleichberechtigung möglich ist.

Sozialisation und Erziehung

Feldmann (2005) beschreibt die Sozialisationsfunktion von Familie als „Kinder müssen sozialisiert und erzogen werden“. Was ist das für eine Familie, die da sozialisiert und erzieht? In Bezug auf die deutsche Steuer- und Sozialgesetzgebung in Deutschland schreibt Feldmann: „In Deutschland behindert eine durch Tradition und politische Gruppen gestützte Mutterideologie […] eine Modernisierung und eine günstigere psycho-soziale Kostenbilanz für die betroffenen Frauen. […] Die […] mangelhafte Infrastruktur zur Kinderbetreuung in Deutschland hat vor allem gebildete Frauen in kognitive und soziale Dissonanzen getrieben.“

Neben diesen nicht förderlichen Rahmenbedingungen werden auch noch nicht förderliche Verhaltensmuster von Generation zu Generation weitergegeben. Hinsichtlich der übertragenen Kriegstraumata, die bis heute Auswirkung auf uns (in meinem Fall die Kriegsenkelgeneration) haben, gibt es viele wissenschaftliche Untersuchungen und einige sehr gut recherchierte Publikationen. „Ohne zu wissen, warum – das hören wir seit vielen Jahren von Menschen, die wir begleiten.“ schreibt das Therapeuten-Paar Baer und Frick-Baer (2018). Was sie damit meinen ist, dass obwohl die Personen selbst kein Trauma erlebt haben, litten sie an Traumasymptomen und zeigten Verhalten, welches sie sich selbst nicht erklären können.

Frauen haben jahrhundertelang Unterdrückung erlebt und wurden benachteiligt und ich glaube fast jede Frau spürt nach wie vor die Auswirkungen dieser Vergangenheit und wenn es nur die unbewussten Verhaltensweisen sind. Jedoch müssen nicht nur wir uns von lang antrainierten und immer weitergegebenen Verhaltensmustern lösen, sondern auch unsere Partner, unsere Freunde, Kollegen und Vorgesetzen. Dass mehrere 100 Jahre alte Verhaltensmuster einfach mal von einer Generation außer Kraft gesetzt werden sollen, ist für mich ein nicht erreichbares Ziel. Aufgeben sollten wir deshalb natürlich trotzdem nicht und Schuldzuweisungen helfen ebenfalls nicht.

Unconscious Bias und Unternehmenskultur

Ein Artikel von Robert Franken beschreibt, dass in Organisationen ein signifikanter Anpassungsdruck an ein normatives Umfeld vorherrscht.

„Sehr viele Unternehmen und Organisationen sind in erster Linie auf das Vorankommen von Männern ausgerichtet. Entsprechende Hierarchien und Organisationskulturen sorgen dafür, dass das auch so bleibt. […] Wenn Frauen (und weitere „Andersartige“) in einem solchen System Karriere machen wollen, bleibt ihnen zunächst nur die eigene Anpassung an die vorherrschende (männliche) Norm. Passen sie sich nicht an, scheitern sie häufig an den einschlägigen Parametern: „zu emotional“, „fehlende Durchsetzungskraft“ et al. Das ist männliches Framing. […] Frauen haben im Wettbewerb um Einfluss, Gestaltungsmacht und Spitzengehälter signifikante Nachteile gegenüber Männern, was viele Studien belegen. Frauen werden demnach negativer bewertet, wenn sie vermeintlich geschlechteruntypische Emotionen und Verhaltensweisen zeigen.“

Robert Franken zeigt für mich hervorragend auf, in welcher Zwickmühle wir Frauen heutzutage alle stecken. Wenn Frauen sich nicht anpassen, dann werden Sie als nicht geeignet angesehen. Wenn sie jedoch versuchen, sich anzupassen, werden sie nicht nur negativ bewertet, sondern sie begeben sich auch in ein Verhaltensmuster, welches oft wider ihrer Natur und daher sehr anstrengend durchzuhalten ist. Dies führt dann häufig entweder zum Ausstieg aus dem System oder in ein Burnout.

Wissenschaftliche Konzepte wie „Unconscious Bias“ können das Thema Gleichstellung besprechbar machen, denn es liefert rationale Argumente und prangert nicht an. Es sagt grundsätzlich aus, dass wir alle uns gerne mit ähnlichen Menschen umgeben. Die Konsequenz daraus für die Gleichstellung kann sich dann jeder selber denken. Dieser Ansatz bietet für jeden von uns die Möglichkeit in unserem direkten Einflussbereich, sein eigenes Handeln zu hinterfragen.

Mikropolitik

Wie bei allen Themen, wo wir versuchen, in der Arbeitswelt etwas zu verändern, brauchen wir dafür Verbündete und müssen Allianzen bilden. Wir müssen analysieren, was die Interessen der Stakeholder sind und diese entsprechend einbinden, denn nur mit der „Aussage“, dass es gerechter ist, auch die anderen 50% der Gesellschaft miteinzubeziehen, werden sich nicht alle überzeugen lassen. Wir müssen konkrete Gründe liefern und individuell auf die Interessen derer, die das Thema noch nicht entdeckt haben, eingehen und ihnen die Vorteile aufzeigen. Am zielführendsten ist es, wenn sich aktuelle Themen anbieten, die im wesentlichen Interesse der Organisation liegen und deswegen sowieso bearbeitet werden. Hier kann der Gleichstellungsaspekt eingebracht werden.

Ausblick

Erfolgreiche Gleichstellungsarbeit ist eine strategische Arbeit. Das bedeutet anstelle von einzelnen Maßnahmen, die umgesetzt werden, muss ein Konzept mit konkreten Zielen erarbeitet werden. Diese Ziele führen zu Maßnahmen, welche evaluiert und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit ausgewertet werden müssen. Nur so kann Gleichstellungsarbeit nachhaltig gestaltet werden und geht über ein Feigenblatt hinaus.

Objektive Personalauswahlverfahren mit klaren, valide abgefragten Kriterien sind Möglichkeiten, auch in Organisationen Einfluss zu nehmen. Ergänzt werden diese durch die Etablierung einer konkreten Unternehmenskultur, die Verhalten fördert, welches zu Gleichberechtigung führt sowie weibliche Qualitäten und Stärken als genauso wertvoll anerkennt. Es braucht klare Regeln, denn ein System verändert sich nicht aufgrund von gutem Willen aller Beteiligten. Die Systemtheorie lehrt uns bereits, dass Systeme so lange weiter machen, bis sie nicht mehr funktionieren. Was können wir also tun, um dafür zu sorgen, dass das aktuelle System nicht mehr funktioniert? Das ist eine Diskussion, die ich gerne führen würde und freue mich auf Ihre Kommentare. Nur weil es einzelne Frauen geschafft haben, ist dies übrigens kein Beweis, denn sie haben meist einen sehr hohen Preis dafür bezahlt.

P.S. Falls Sie sich wundern, dass ich an einem Freitag blogge, Montag, mein nächster regulärer Blogtermin, ist der 01.04. und dieser Artikel ist nun wirklich kein Aprilscherz.

Literatur

Baer, U. & Frick-Baer, G. Kriegserbe in der Seele. Was Kindern und Enkeln der Kriegsgeneration wirklich hilft. Beltz. 2018

Feldmann, K.: Soziologie Kompakt. Eine Einführung. Verlag für Sozialwissenschaften. 2005

Hier geht es zum kompletten Artikel von Robert Franken.

Einige Aussagen basieren auch auf dem Seminar von Marion Dix, welches ich im letzten Jahr besucht habe und über das ich schon mal geschrieben habe.

 

2 Kommentare zu „Nachtrag zum Weltfrauentag und Equal Pay Day“

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