Inzwischen gibt es einige Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Zeit zum Lernen oder für Projekte, die augenscheinlich nichts mit der Arbeit zu tun haben, gewähren. Es gibt hier verschiedene Modelle z. B. 20% der Arbeitszeit oder einen Freitag im Monat. Dann gibt es die große Mehrheit, die nicht das Glück hat in solchen Unternehmen zu arbeiten. Harald Schirmer plädiert für das bedingungslose Lernzeitgrundeinkommen. Auch eine gute Idee. Was aber tun, wenn man das noch nicht hat? Inzwischen habe ich mich in einigen Twitter-Diskussionen dazu beteiligt. Denn ich finde, dass jeder von uns sich die Zeit nehmen sollte. Zeit hat per se keiner. Nur, wenn wir das als gegeben hinnehmen, wird sich nichts ändern. Darauf warten, dass sich im Rahmen der New Work Entwicklungen etwas ändert, dauert mir jedenfalls zu lange. Deswegen habe ich schon lange meine eigenen Strategien entwickelt mit diesem Thema umzugehen und diese will ich hier heute teilen.
Meine drei Arten von Lernzeiten
Ich bin vielfältig interessiert und deswegen unterscheide ich grundsätzlich in drei Arten von themenabhängigen Lernzeiten:
- Für Lernthemen, die jetzt relevant sind und die ich für die Erledigung meiner aktuellen Aufgaben benötige, nehme ich mir in meiner Arbeitszeit die Zeit. Bei mir persönlich ist das z.B. gerade Kennzahlen im Recruiting.
- Lernthemen, die ich als relevant für meine zukünftige Arbeit sehe, verfolge ich innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit. Hierunter fallen für mich Themen wie künstliche Intelligenz, agiles Arbeiten oder Working Out Loud. In meiner täglichen Arbeit sind das noch eher untergeordnete Themen, jedoch gehe ich davon aus, dass sie immer mehr Relevanz erhalten werden.
- Themen, die gar nichts mit meiner Arbeit zu tun haben, verfolge ich ausschließlich außerhalb der Arbeitszeit. Hierzu gehört z. B. meine finanzielle Bildung.
Ich bin wirklich gut in dem, was mir wirklich Spaß macht und mich interessiert
Schon im Studium habe ich gelernt, dass ich hauptsächlich dann in etwas gut bin, wenn ich es gerne mache. Dann wird intrinsische Motivation freigesetzt. In diesem Fall ist es für mich nicht so relevant, ob das Lernen in meiner Arbeitszeit oder in meiner Freizeit stattfindet, einfach weil es mich interessiert. In meinem Tagesgeschäft schaue ich wie es sich kombinieren lässt. Entdecke ich jedoch Sonntag einen interessanten Artikel, warte ich nicht bis Montag, nur weil er etwas mit meiner Arbeit zu tun hat. Ich lasse mich nicht bremsen, weil ich von jemand anderes erwarte, dass er mir die Zeit einräumt oder ein Seminar bezahlt. Entweder unterstützt mich mein Arbeitgeber offiziell indem er mir Zeit und Budget einräumt oder er unterstützt mich inoffiziell, weil ich mir die Freiheit nehme, bestimmte Recherchearbeiten während der Arbeitszeit zu machen. Niemand soll darüber bestimmen, was und wann ich lerne. Ich sehe lernen als so großen Erfolgsfaktor für meine persönliche und berufliche Entwicklung, dass es für mich immer eine Frage ist wie ich es schaffe, es in meiner eng bemessenen Zeit unterzubringen und nicht ob.
Praktische Tipps für den Alltag
Theoretisch wissen wir ja alle, dass lernen wichtig ist. Die Herausforderung ist, dies im Tagesgeschäft unterzubringen. Ich habe inzwischen einige Strategien entwickelt, die mir helfen.
- In meinem Outlook-Kalender richte ich mir Terminblocker ein, die für bestimmte Themen reserviert sind. So stelle ich sicher, dass ich entsprechende Zeiten einplane und auch jeder andere sieht in meinem Kalender, dass ich beschäftigt bin und nimmt hoffentlich bei seiner Besprechungsanfrage Rücksicht darauf. Am besten funktioniert ein regelmäßiger Blocker. Der muss gar nicht lang sein. Doch so werde ich regelmäßig an meine Lernthemen erinnert.
- Mit meinem Kollegen habe ich das Format des Lerncafés entwickelt. Dahinter verbirgt sich keine besondere Methode, sondern nur, dass wir gemeinsam einen Kaffee trinken und uns austauschen. Wir haben in einem Gespräch festgestellt, dass der andere viel Wissen zu Themen hat, welches für uns auch interessant ist und über das wir gerne mehr erfahren würden. Wir haben uns einen wöchentlichen Termin dafür reserviert. Wichtig ist hierbei, dass wir uns beide zu diesem Termin committed haben. Abzusagen, weil man zu viel zu tun hat, ist keine Option, denn viel zu tun, haben wir immer alle.
- Das Timeboxing, so wie viele es in der agilen Arbeitsweise kennengelernt haben, finde ich auch eine große Hilfe. Es geht nicht darum, alles vollumfänglich zu einem Thema zu lesen oder etwas perfekt auszuarbeiten. Für mich ist wichtig, kontinuierlich in kleinen Schritten vorankommen. Lieber täglich 15 Minuten an einem Thema arbeiten als gar nicht.
- Ich nutze sämtliche Reisezeiten zum Lesen oder Podcast hören. Im Winter ist das einfacher, weil ich dann mit der Bahn zur Arbeit fahre. Im Sommer, wenn ich mit dem Fahrrad fahre, wird es schwieriger. Trotzdem versuche ich solche Lücken immer sinnvoll zu füllen.
- Zum Timeboxing oder sich Kalenderzeiten für Lernen zu reservieren, eignet sich auch das Format eines Working Out Loud Circles. Auch wenn ich die Guides sehr schätze und inzwischen in mitten meines zweiten Circles stecke, ist aus meiner Sicht der Mehrwert insbesondere in drei Punkten zu sehen: Mit anderen gemeinsam Lernen, Kontinuität durch das 12 Wochen-Programm und Timeboxing, weil es auf eine Stunde/Woche reduziert ist. Wenn einem also aus irgendeinem Grund dieses spezielle Format nicht zusagt, gibt es ggf. auch andere Formate, die diese Kriterien erfüllen.
Nutzung des Eisenhower-Quadrats
Das Eisenhower-Quadrat ermöglicht, Themen oder to dos in vier Quadranten einzuordnen. Dringend und wichtig, Wichtig und nicht dringend, Dringend und nicht wichtig sowie Nicht dringend und nicht wichtig. Lernen ist wichtig, aber meist nicht dringend, deswegen neigen wir dazu es wie Sport, gesunde Ernährung, Entspannung und ähnliches zugunsten von Dringend und Wichtig oder Dringend und nicht wichtig zu vernachlässigen. Schauen Sie mal gezielt auf Ihre to dos und sortieren Sie diese entsprechend ein. Dabei stellen Sie sich mal die Frage, was wirklich wichtig ist, um langfristig voran zu kommen.
Um das umzusetzen, versuche ich mir ein Mal täglich die Zeit zu nehmen auf meine Aufgaben zu schauen. Auch hierfür habe ich einen Kalenderblocker, der mich daran erinnert. Wichtig ist mir dabei nicht nur die Priorisierung an sich, sondern auch, dass ich mich nicht treiben lasse von den Menschen und Dingen, die gerade versuchen Druck aufzubauen, sondern strategisch draufschaue, was mich zum Ziel bring und mich längerfristig erfolgreich macht.
Online Lernen
Ich bin ein großer Fan von persönlichen Begegnungen und gehe sehr gerne auf Seminare. Dies möchte ich auch nicht missen. Jedoch schätze ich auch die Flexibilität des Online Lernens. Online Lernen kann durch soziale Medien, Online-Kurse, Lesen von Blogs und Artikeln oder auch das Schauen von YouTube Videos geschehen. Das ist in einem vollen Kalender immer unter zu bringen, weil Sie es machen können, wann Sie wollen: wenn die Kinder im Bett sind oder bevor sie morgens aufstehen, in der Mittagspause oder in der Straßenbahn.
Mein Fazit
Meine Erfahrung ist, dass wir für Fleiß oft nicht belohnt werden. Denn Fleiß führt dazu, dass wir uns von Prozessen oder Dingen treiben lassen. Wir sehen nur unsere to dos und wollen irgendwie versuchen, diese abzuarbeiten, damit der Berg nicht zu groß wird. Dadurch sind wir sehr eng getacktet und desto fleißiger wir sind, desto mehr Arbeit landet auf unserem Schreibtisch. Das führt bei mir dazu, dass ich schnell erschöpft bin, mich manchmal am Ende des Tages frage, was ich eigentlich geschafft habe und das Gefühl habe, dass ich meinen Arbeitstag nicht selber steuern konnte. Darüber hinaus glaube ich zutiefst daran, dass wir nicht vorankommen werden, wenn wir uns nicht die Zeit nehmen, regelmäßig zu reflektieren und zu lernen. Mir ist also sowohl Entwicklung als auch Steuerungsmöglichkeit meiner täglichen Arbeit wichtig. Aus diesem Grund sind mir meine Lernzeiten so wichtig. Ich weiß, dass es manchmal hart ist und nicht immer kann man sich gegen den Druck von außen wehren. Das ist aber kein Grund für mich, es nicht immer wieder fest einzuplanen.
Wichtig zu wissen ist, ich habe immer eher in konservativ-hierarchischen Unternehmen gearbeitet. Auch da gibt es Freiräume, wenn man nicht darauf wartet, dass sie einem von der Führungskraft gegeben werden, sondern sie sich mit gesundem Menschenverstand in Bezug auf die sonst anstehenden Aufgaben nimmt. Was soll schon passieren? Wichtig ist, glaube ich, dass die Lernthemen im weitesten Sinne etwas mit der Arbeit zu tun haben und ansonsten gehe ich erstmal davon aus, dass jedes Unternehmen will, dass ich meine Aufgaben bestmöglich erledige und dazu gehört eben auch etwas Recherche und Austausch mit Kollegen. Wer sollte da etwas dagegen haben? Warum sollte ich jemanden fragen, ob es in Ordnung ist, dass ich meine Aufgabe bestmöglich erledige, indem ich mich vorab genau informiere? Probieren Sie es einfach aus. Sie wissen, dass Sie etwas tun, was gut für Ihr Unternehmen ist und handeln in bester Absicht. Es gibt keinen Grund ein schlechtes Gewissen zu haben.
Welche Strategien haben Sie entwickelt, um kontinuierlich zu lernen? Ich freue mich, wenn Sie diese in den Kommentaren posten und mit mir teilen.
Interessante Twitterdiskussionen zum Thema:
Wurde heute gefragt, ob es wirklich Unternehmen gibt, die einen Prozentsatz an #Arbeitszeit als #Lernzeit vorsehen.
Könnt ihr hier Beispiele geben?#followerpower@rainerbartl@GerhardPeter@MGeisenhainer@SimonDueckert@ewingo13@HaraldLauritsch@Fleinsbach@pinkosso@alecmcint— Benjamin Schlindwein (@benschlindwein) January 4, 2019
Mein Kollege und ich machen Freitags um 13.00 Uhr #Lerncafe. Wir trinken Kaffee, teilen unser Wissen und lernen so voneinander. Auch wenn der Schreibtisch überquillt, machen wir es. Wir wissen, dass wir ohne Lernen nicht voran kommen und nie Zeit haben werden. https://t.co/fI1m9L5ViL
— Katharina Nolden (@NoldenKatharina) January 29, 2019
1 Kommentar zu „Meine Freiräume für Lernzeit im Arbeitsalltag“
Danke für deinen Lernweg. Bei meinem ehemaligen Arbeitgeber war es auch interessant. Es gab keine feste Lernzeit, aber wen ich wollte, konnte ich mich zu meinen Arbeitsthemen jederzeit fortbilden. Ich musste es einfach selbst in die Hand nehmen – das war die wichtigste Lektion. Und eine, die mich mit deinem Weg verbindet.
Vielen Dank auch für die praktischen Tipps aus dem Alltag, davon kann ich auch einiges bei mir mit einbauen.