Bevor Sie über diesen Artikel hinwegscrollen, weil Sie denken, dass Frauen schon die gleichen Chancen haben und sie nur ergreifen müssen, möchte ich Sie einladen, doch mal einen kurzen Blick zu riskieren. Mir geht es hier um einen objektiven Blick auf dieses Thema und den aktuellen Stand in unserer Arbeitswelt. Ich habe mich bisher auch wenig mit dem Thema befasst. Kürzlich besuchte ich jedoch ein Seminar zum Thema Gleichstellungsarbeit in Organisationen, allerdings hauptsächlich wegen der Person, die es leiten sollte. Marion Dix, geballte Erfahrung aus 30 Jahren Gleichstellungsarbeit und in den letzten Jahren Projektleitung des Programms Horizonte, welches Frauen mit mehrjähriger Führungserfahrung hin zu Positionen im gehobenen Management fördern soll. Es hat sich gelohnt. Nicht nur, dass ich Einblicke in die Gleichstellungsarbeit erhalten habe, sondern ich konnte die geballte Erfahrung aus Organisationsentwicklungsprojekten, aus strategischen Vorgehensweisen und aus der aktiven Betreibung von Mikropolitik anzapfen.
Worum es in diesem Artikel geht
In diesem Artikel werde ich auf die für mich wesentlichen Punkte zum aktuellen Stand in der Gleichstellungsarbeit eingehen. In weiteren Artikeln möchte ich auch auf meine wichtigsten Erkenntnisse zu den Themen Organisationsentwicklung, strategische Ausrichtung der Funktion, Mikropolitik und Macht eingehen. Diese Erkenntnisse lassen sich natürlich nicht nur auf Gleichstellungsarbeit anwenden, sondern auf alle Organisationsentwicklungsprozesse und daher fand ich sie auch für meine HR-Arbeit sehr wertvoll.
Folgende Statements haben mich hinsichtlich der Wichtigkeit des Themas Gleichstellungsarbeit aufgerüttelt:
- „70% der Unternehmen haben sich keine Zielsetzung für Frauen in Managementpositionen vorgenommen.“
- „Nach wie vor wird Gleichstellungsarbeit als Sozialprojekt betrachtet. Hierbei wird außer Acht gelassen, dass 51% der Bevölkerung Frauen sind und dass diese nach wie vor auch in eher frauenlastigen Branchen in Managementpositionen unterrepräsentiert sind.“
- „Wenn mehrere Frauen in Führungspositionen in einem Unternehmen „scheitern“ liegt ein unternehmenskulturelles“ Problem vor.“
Zahlen, Daten, Fakten in der Gleichstellungsarbeit
In Zahlen, Daten und Fakten gesprochen, sieht der Stand der Gleichstellungsarbeit wie folgt aus: Bericht 2017 zum Quotengesetz zu den 185 im DAX, MDAX, SDAX, TecDAX und vollmitbestimmten Unternehmen:
- 28,08% Frauen in Aufsichtsräten im Vergleich zu 21,34% im Jahr 2015
- 6,78% Frauen in Vorständen im Vergleich zu 4,99 % im Jahr 2015
- Nur 16,8% der Unternehmen zielen Zuwachs von Frauen an und 65,2% geben die Zielgröße 0 an
- 36,3% der Unternehmen zielen Zuwachs in der 1. Managementebene an
- 41,6% der Unternehmen zielen Zuwachs in der 2. Managementebene an
Zusätzlich lässt sich im Allgright-Bericht zu Vorstandsmitgliedern in Deutschland nachlesen, dass es mehr „Thomas“ (49) als Frauen (45) in Vorständen gibt. Warum ist das so? Marion Dix schreibt, dass sich „nach 30 Jahren Gleichstellungsarbeit und 20 Jahre nach Einführung des Niedersächsischen Gleichstellungsgesetz (NGG), […]Ernüchterung breit [macht], weil die bisherigen Bemühungen nicht in gewünschter und erwarteter Form gewirkt haben.“[1]
Ein geringer Frauenanteil im Management ist ein unternehmenskulturelles Thema
“Ein geringer Frauenanteil im Management ist im Kern ein kulturpolitisches Phänomen“ sagte schon Sattelberger und das erscheint mir logisch. Denn Organisationen, wie wir sie kennen, sind historisch gewachsene, homogene Männerorganisationen. Da sie in der Vergangenheit damit erfolgreich waren, sehen sie wenig Veranlassung, sich zu verändern. So sind funktionierende Systeme angelegt und so lange sie funktionieren, gibt es keinen Anlass, sich zu ändern. Es handelt sich in Organisationen um kollektive Gewohnheitsmuster, die Führung und Kooperation prägen sowie mehrjährige Sozialisation. Menschen, die in diesem Umfeld erfolgreich sind, fragen was daran schlecht sein soll. Wenn sie es geschafft haben, können alle anderen es auch schaffen. Bisher zeichnen sich die Frauen, die es in Führungspositionen geschafft haben, häufig dadurch aus, dass sie sich 20 Jahre lang im Guerillakampf durchgesetzt haben und dies auch von anderen Frauen erwarten. Ist das die Haltung, die wir als Gesellschaft wollen? Wenn wir von Fachkräftemangel sprechen, können wir aus meiner Sicht nicht die Hälfte der Gesellschaft benachteiligen und dieses Potenzial links liegen lassen.
So kann Gleichstellungsarbeit gehen
Es ist ein psychologischer Effekt, dass alle Menschen, den Umgang mit ähnlichen Menschen bevorzugen. Das gibt Sicherheit und vermeintliche Berechenbarkeit. Nun sind Frauen und Männer bekanntlich unterschiedlich und somit sind sie füreinander weniger berechenbar. So fällt es Männern viel schwerer Frauen so zu fördern wie sie das mit den männlichen Kollegen tun. Es erfordert eine hohe Selbstreflektion und ein genaues Hinschauen wie es gerade zu dieser Entscheidung kommt. Hier sind gesetzliche Grundlagen hilfreich, um den bereits häufig vorhandenen guten Willen zu unterstützen, wenn es doch leichter wäre, dem eigenen Bauchgefühl zu folgen und jemanden Ähnlichen auszuwählen. Und es schließt sich der Kreis, warum ich Anforderungsprofile und strukturierte Gesprächsmethoden in der Personalauswahl so wichtig finde.
Für Menschen, die sich für das Thema einsetzen wollen oder in ihrer Funktion als Gleichstellungsbeauftragte diese Aufgabe haben, ist es neben einer gesetzlichen Grundlage auch sehr wichtig, allen Beteiligten die Sinnhaftigkeit von Gleichstellungsarbeit zu verdeutlichen. Denken Sie hierbei zum Beispiel an den demographischen Wandel. Aber wer ist für Gleichstellung überhaupt verantwortlich? Den Auftrag hat die gesamte Organisation und damit sind insbesondere folgende Bereiche gemeint:
- die Organisationsspitze
- die Führungskräfte
- Organisations- und Strategiebereiche
- Personalabteilungen
- die Gleichstellungsbeauftragte
- die Betriebsräte
- das Controlling
Wenn die Organisation will, dass Gleichstellung umgesetzt und gelebt wird, müssen organisationale Regeln entsprechend überdacht und geändert werden. Somit ist als Fazit dazu zu sagen: „Erstens: Gleichstellungsarbeit [muss] strategisch [ausgerichtet werden] und die männlich geprägte Organisationskultur [muss durchbrochen werden]. Zweitens: Aktive Mikropolitik ist genauso wichtig wie das Vorhaben selbst“[1], um alle in die Verantwortung zu nehmen.
Ich für mich persönlich habe in dem Seminar folgendes gelernt:
- Gleichstellung ist kein Frauenthema.
- Nicht die einzelne Frau ist verantwortlich, sondern es muss an den Strukturen gearbeitet werden.
- Einzelne Frauen können und dürfen und (vielleicht sogar sollten) sich für das Thema einsetzen, Männer können und dürfen dies aber ebenso.
- Um erfolgreich zu sein, müssen wir strategisch klug vorgehen und uns Verbündete suchen.
Marion Dix ist Polizeibeamtin und arbeitet seit 30 Jahren gleichstellungspolitisch in Gewerkschaft, Personalrat, landes- und bundespolitisch und in dienstlichen Funktionen. Die letzten Jahre leitete sie die Fortbildung der Polizeidirektion Hannover und ist jetzt freischaffend tätig.
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[1] Dix, Marion: Lerneffekte aus 30 Jahren Gleichstellungsarbeit. 2018