Emotionen waren schon immer ein schwieriges Thema im Arbeitskontext. Meist haben wir die Prämisse, professionell sein zu wollen und das bedeutet, keine oder wenig Emotionen zu zeigen. Wer das bisher vielleicht ganz gut durchgehalten hat, kommt jetzt in Zeiten von Corona entweder ins Schwanken oder die Fronten verhärten noch mehr.
Ich habe allerlei Emotionen in den letzten 1,5 Wochen beobachtet: von Verharmlosung, über sich lustig machen, bis Panik. Zugegeben, fast keiner von uns hat in seinem Leben eine ernsthafte Bedrohung erlebt. Der Krieg in Deutschland ist lange her und alle die hier aufgewachsen sind, kennen nichts anderes als Wohlstand. Nun haben wir gleich mehrere Herausforderungen zu bewältigen. Wir müssen zu aller erst anerkennen, dass wir gerade wirklich eine Krise haben. Damit aber nicht genug. Gleichzeitig müssen wir ganz schnell digital und agil werden sowie uns emanzipieren. Es sind nun, insbesondere die Frauen, die in ihren Berufen (Pflege, Verkäuferin etc.), gefragt sind, um das System stabil zu halten. Durch die Schließung von Kitas und Schulen hat sich der ein oder andere Mann vielleicht plötzlich mit der Kinderbetreuung zu Hause wiedergefunden, obwohl er das bis dahin noch gar nicht gewohnt war (ohne Vorwurf).
Unweigerlich entstehen in solchen Situationen Emotionen: Wut, Frust, Hilflosigkeit. Ich glaube, dass unsere emotionale Kompetenz ganz entscheidend dafür sein wird wie wir diese Krise bewältigen.
- Schaffen wir es, mit den Veränderungen zurecht zu kommen?
- Schaffen wir es, die Konflikte angemessen zu bewältigen?
- Schaffen wir es, besonnen zu agieren und die jetzt notwendigen Maßnahmen zu akzeptieren sowie nach ihnen zu handeln?
- Und ganz besonders, schaffen wir es in unserem eigenen emotionalen Aufruhr noch Mitgefühl und Anteilnahme für unsere Mitmenschen zu entwickeln?
- Mitgefühl für Führungskräfte, die noch nie ein Team digital führen mussten und das eigentlich auch nicht wollten?
- Mitgefühl für all jene, die Corona direkt im Familienkreis betrifft?
- Mitgefühl für alle, die trauern, um die Zeit wie sie vor Corona war?
- Und auch Mitgefühl, wenn jemand Gefühle zeigt, die wir absolut nicht nachvollziehen können und/oder vielleicht sogar für übertrieben halten?
Was ist deine Corona Kompetenz?
In den sozialen Medien habe ich die Frage gelesen, was ist deine Corona Kompetenz? Damit war eigentlich gemeint, wie nutzt du die Zeit, die du jetzt vielleicht mehr hast als sonst, um dich weiter zu bilden? Ich möchte vorschlagen, wir nutzen die Zeit, um unsere eigene emotionale Kompetenz zu reflektieren und an unserer emotionalen Selbststeuerung zu arbeiten. Denn eins ist für mich noch klarer als es sowieso schon vor Corona war: Netzwerk, Beziehungen und Verbundenheit sind in schwierigen Zeiten besonders wichtig und der Erfolgsfaktor.
Nun kommt das alles ein bisschen plötzlich. Ich selbst habe Anfang März auch noch gedacht, dass das bestimmt alles nicht so schlimm wird. Es hat sich nun aber zu einer sehr ernsten Lage entwickelt in der ich die emotionale Kompetenz für unabdingbar halte, insbesondere vor dem Hintergrund, was ich in meinem Umfeld beobachtet habe und was mir aus meinem Netzwerk zugetragen wurde. Ich möchte in diesem Blog ein paar Ansätze teilen, wie jeder in diesen schwierigen Zeiten, seine emotionale Kompetenz reflektieren kann und so Selbstfürsorge betreiben (Panik vermeiden) sowie seine Mitmenschen in der schwierigen Situation unterstützen kann. Hoffentlich kann sich einiges davon nachhaltig in unser Arbeitswelt übertragen, nachdem wir die Corona Krise erfolgreich gemeistert haben.
Focusing
Diese Methode geht auf den amerikanischen Psychotherapeuten und Philosophen Eugene T. Gendlin zurück. Er beschrieb den Prozess im Rahmen von Forschungen zur klientenzentrierten Psychotherapie (Carl Rogers) in den 1960er Jahren. Es handelt sich hierbei um eine Hilfe zur Selbsthilfe im Umgang mit in schwierigen und belastenden Lebenssituationen in dem man sich in mehreren Schritten auf seine Emotionen fokussiert und ihnen Aufmerksamkeit schenkt. In diesem Prozess wird die Emotion eingeladen, sie genau angeschaut und man geht mit ihr ins Gespräch. Je nachdem wie stark sie ist, und wie schwierig die Herausforderung, kann es auch helfen, wenn einem eine andere Person die entsprechenden Fragen stellt. Für leichtere Situationen kann man diese Übung aber auch selbstständig durchführen.
Im Wesentlichen erfolgt der Prozess in diesen Schritten:
- Eine kurze meditative Körperreise und damit jedem Körperteil seine Aufmerksamkeit schenken
- Das Gefühl einladen und begrüßen
- Eine Beschreibung (Farbe, Konsistenz, Struktur…) finden
- In den Dialog gehen (Was willst du mir sagen? Warum bist du hier? Was ist dein Auftrag?)
- Das Gefühl annehmen und beschützen.
Das Interessante daran ist, dass es dadurch möglich ist, die Botschaft der Emotionen zu erfahren, sodass in einen inneren Austausch gegangen wird. Es eröffnen sich Lösungsräume, die nicht gesehen worden wären, wenn man weiterhin versucht hätte, die Emotionen wegzudrücken. Hat man erstmal Klarheit, fällt viel Druck ab und dadurch wird man wieder handlungsfähig in einem zielorientierten Sinne.
The Work
Wem Focusing irgendwie zu schwammig und esoterisch erscheint, der kann mit der Methode von Byron Katie einen analytischen Blick auf seine Emotionen werfen. Gefühle entstehen meist auf der Basis von Gedanken, die so schnell in einem auftauchen, dass man sie häufig gar nicht bewusst wahrnimmt, sondern davon ausgeht, dass das Gefühl einfach sofort da war. The Work hilft einem diese Gedanken zu identifizieren und zu hinterfragen. Wir neigen dazu, unseren Gedanken ungefragt zu glauben und fühlen uns dann verletzt oder sind wütend. Nachdem man sich jedoch intensiver mit ihnen auseinandergesetzt hat, stellt man häufig fest, dass es auch andere Möglichkeiten der Interpretation und Reaktion auf das Geschehene gibt.
The Work umfasst vier Schritte:
- Ist es (welchen Gedanken auch immer du gerade hast) wahr?
- Weißt du mit Sicherheit, dass es wahr ist?
- Wie reagierst du, was passiert, wenn du diesen Gedanken glaubst?
- Wer wärst du ohne den Gedanken?
Das Harvard Konzept für Lösungsräume
Wie eingangs beschrieben, sind in so einer schwierigen Zeit wie jetzt, viele Menschen in ihren Emotionen verstrickt und handeln vielleicht gar nicht so wie sie normalerweise handeln würden. Es zeigen sich vielleicht auch charakterliche Wesenszüge, die man so von seinen Mitmenschen nicht erwartet hätte. Um die so aufkommenden Konflikte zu bewältigen, ist es wichtig die Bedürfnisse seines Gegenübers zu erkennen und im Gespräch deutlich zu machen, dass es einem um die Sache geht oder ein Verhalten, welches man ablehnt, man jedoch nicht die Person angreifen will.
Das Harvard Konzept hat das Ziel, eine konstruktive und friedliche Einigung in Konfliktsituationen mit einem Win-Win-Ergebnis. Die Methode geht über klassische Kompromisse hinaus. Im Vordergrund steht der größtmögliche beiderseitige Nutzen, wobei über die sachliche Übereinkunft hinaus auch für beide Verhandlungsseiten die Qualität der persönlichen Beziehungen gewahrt bleiben soll. Es geht auf den amerikanische Rechtswissenschaftler Roger Fisher zurück.
In einem Satz zusammengefasst, bedeutet es für mich „Hart in der Sache, weich zum Menschen.“
Mehr Menschlichkeit in der Arbeitswelt
Menschen sind mehr als Ressourcen, sondern sollten als komplexe, emotionale Individuen gesehen werden. Wenn wir als Gesellschaft an der Corona Krise wachsen wollen, um eine bessere (Arbeits)-Welt zu schaffen, kommen wir aus meiner Sicht nicht darum herum, uns mit unseren eigenen Emotionen und denen unserer Mitmenschen auseinander zu setzen. Der Umgang mit den eigenen Emotionen ist ein wesentlicher Aspekt der Selbststeuerung, um Selbstwirksamkeit entfalten zu können.
Gerade diejenigen von uns, die sich verstärkt für Transformationsprozesse einsetzen, werden immer wieder in Situationen geraten, die sie emotional aufwühlen, von denen sie sich manchmal auch überfordert oder überrollt fühlen. Wenn die Hierarchie wieder zuschlägt, wenn disziplinarische Macht missbraucht wird, wenn alte Seilschaften einen ausbooten. Doch genau diese Hierarchien und Seilschaften werden in so einer unberechenbaren, komplexen Situation wie jetzt nicht erfolgreich sein. Es wird sich zeigen, dass ein gutes Netzwerk jede Hierarchie schlagen wird. Also lasst uns unseren Emotionen Raum geben, Emotionen unserer Mitmenschen anerkennen und gemeinsam daran wachsen.
Weiterführender Link zu Focusing
Weiterführender Link zu The Work
Literatur:
Fisher, Roger: Das Harvard-Konzept: Der Klassiker der Verhandlungstechnik; 2004