In meinem letzten Artikel berichtete ich aus HR-Sicht wie aus meiner Erfahrung mit HR-IT-Systemen umgegangen wird. Aus vielen Gesprächen im Anschluss des Artikels schloss ich, dass ich mit meiner Wahrnehmung nicht alleine dastehe. Trotzdem bewegt sich relativ wenig in diesem Bereich. Um die drastischen Auswirkungen bei schlecht funktionierenden Systemen auf das Bewerbungserlebnis unserer so sehr gesuchten Fachkräfte zu verdeutlichen, folgt heute der zweiten Teil meiner Reihe HR + IT. Ich werde meine letzte Erfahrung mit einem Online-Bewerbungs-/Test-Tool beschreiben.
Online-Test kann zu einer nervenaufreibenden Erfahrung werden
Wenige HRler bewerben sich mal bei Ihrem eigenen System bzw. ich glaub auch, dass ihnen oft gar nicht bewusst ist, was sie ihren Bewerbern oft zumuten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die folgende, nervenaufreibende und frustrierende Erfahrung das Ziel ist, welche eine HR-Abteilung verfolgt, wenn sie Fachkräfte für sich gewinnen möchte. Jedoch ist diese Erfahrung, die ich gemacht habe kein Einzelfall, auch wenn dieser Bericht sicherlich von einer größeren Störung berichtet, die glücklicherweise nicht die Regel ist. Er dient exemplarisch der Darstellung was Bewerber alles erdulden müssen bis sie endlich ihre Bewerbung einreichen können.
Eine Fehlermeldung jagt die Nächste
Ich wurde zu einem Online-Assessment eines großen bekannten Arbeitgebers eingeladen und das lief wie folgt ab:
- Ich will den Test starten, es tauchen Fehlermeldung mit irgendeinem Zahlen- und Buchstabencode auf, gefolgt vom Text klicken Sie für mehr Infos hier.
- Es öffnet sich ein Fenster in dem ich dann mit einem Roboter chatten kann und dort gebe ich den Zahlen- und Buchstabensalat der Fehlermeldung ein.
- Der Roboter schreibt, dass er mehr Infos braucht. Ich habe keine Ahnung, was ich ihm noch geben könnte und schließe resigniert das Fenster.
- Ich probiere es einfach nochmal und erhalte eine neue Fehlermeldung. Zum Glück ein anderer Fehler, denke ich, dann gleiche Prozedur wie oben. Roboter sagt nun, leeren Sie bitte Ihren Cache. Bin ich froh, dass ich weiß wie das geht, frage mich aber, ob das jeder Bewerber weiß, der das System nutzen will.
- Pfiffig wie ich bin, lade ich mir einfach einen nigelnagelneuen Browser runter und denke, nun können wir ja kein Cache-Problem mehr haben.
- Falsch gedacht, der Fehler taucht wieder auf. Allerdings hilft hier durch ein Wunder einfach das neu laden der Seite. Ich kann endlich anfangen. Jippieh.
- Erste Aufgabe geschafft, wieder die Fehlermeldung, wieder der Roboter, wieder der Cache, trotz des niegelnagelneuen Browsers. Ich versuche es einfach nochmal mit neu laden. Es klappt.
- Der obige Punkt wiederholt sich nach jeder weiteren Aufgabe. Nur das nach dem dritten oder vierten Mal noch das Textfeld kommt Sie haben den Test abgebrochen, wenn Sie das nochmal machen, gilt ihr Test als verweist. Oh nein, denke ich.
- Trotzdem wiederholt sich auch nach der nächsten Aufgabe das Spiel und ich denke, dann ist mein Test jetzt wohl verweist, was auch immer das heißt. Aber siehe da neu laden hilft und es geht weiter.
So zieht sich das durch den ganzen Test. Nicht, dass es schon aufregend genug ist, ein Online-Assessment für eine Stelle zu absolvieren, die man gerne hätte, dazu kommt noch das ständige Adrenalin, werde ich den Test überhaupt bis zu Ende absolvieren können? Außer dem Chatroboter gibt es keine Möglichkeit, Kontakt mit dem Unternehmen aufzubauen. Ich hatte mir absichtlich diesen bestimmten Tag für meinen Test ausgesucht, weil ich wusste, dass ich da nicht unter zeitlichem Druck stehe. Den Test zu einem späteren Zeitpunkt zu absolvieren, z.B. einem Werktag, wenn das Unternehmen wieder erreichbar ist, würde für mich eher stressig werden und das wollte ich gerne vermeiden.
Intransparente Bewertung im Anschluss
Prompt im Anschluss bekomme ich eine Mail in der ich bewerten soll, wie ich den Test fand, ob es eine angenehme Erfahrung war und ob der Test angemessen war. Ich frage mich sofort, kann ein Zusammenhang hergestellt werden zwischen meinen Antworten auf die Frage und meiner Bewerbung? Werden meine Antworten Einfluss auf meine Bewerbung haben? Kann ich mich trauen den Ablauf des Tests negativ zu bewerten? Ich werde leider nicht darüber informiert. Also entscheide ich mich für diplomatische Antworten. Da aber Recruiting und HR so eine Leidenschaft von mir ist und ich immer gerne die Kolleginnen und Kollegen dabei unterstützen möchte, noch besser zu werden, will ich wenigstens das Kommentarfeld nutzen und dort beschreiben, was mir widerfahren ist. Als ich das Formular abschicken will, werde ich darüber aufgeklärt, dass leider nur 240 Zeichen möglich sind. Schade, dann also kein ausführliches Feedback und schade auch, dass die Anzahl der erlaubten Zeichen im Vorfeld nicht ersichtlich war und die Mühe meines gesamten Textes umsonst war.
Was ist eigentlich für Bewerber verhältnismäßig und zumutbar?
Zwei Wochen später erhalte ich eine Email mit der Bitte den Test nochmal innerhalb von drei Tagen zu absolvieren, da meine Testergebnisse nicht gespeichert wurden. Man entschuldigt sich für die Unannehmlichkeiten. Ich ärgere mich. Außerdem hätte ich mir einen persönlichen Anruf gewünscht anstatt einer Email. Schließlich bedeutet das erheblichen Mehraufwand für mich und nach meiner letzten Erfahrung hält sich meine Lust auch stark in Grenzen, den Test nochmal zu wiederholen. Ich hatte schon überhaupt keine Lust mehr auf das Verfahren.
So viel wie nötig so wenig wie möglich dann aber mit professionellen Systemen
Warum schreibe ich über HR-IT-Systeme und meine Erfahrungen? Ich plädiere dafür, dass HR-IT-Systeme nicht so stiefmütterlich behandelt werden und dass Bewerber besser in diesem Prozess begleitet werden.
- Wie Sie oben anhand meines Erfahrungsberichtes lesen können, können diese Systeme ein sehr hohes Frustrationspotenzial bergen.
- In einem früheren Artikel habe ich bereits aufgezeigt, dass es schon erwiesene negative Umfragewerte von Bewerbern gibt wie sie Online-Bewerbungs-Tools erleben.
- Vor dem Hintergrund dessen, dass sich der Arbeitsmarkt wandelt, muss umgedacht werden, um hochkarätige Kandidaten nicht abzuschrecken.
Was können Sie tun?
- So wie HR meist einen Ansprechpartner für Arbeitsrecht in der Rechtsabteilung hat, sollte es auch einen Ansprechpartner in der IT geben.
- Es sollte eine Person aus HR ausgesucht werden, welche die Systembetreuung nicht nur ebenso mit macht, sondern die das wirklich gerne macht und das beste und schönste System haben will.
- Bewerber sollten einen Ansprechpartner zur Verfügung haben, wenn es Schwierigkeiten gibt. Ich verstehe, dass das am Wochenende schwierig ist, dann wäre es hilfreich, wenn der Chatroboter darauf hinweist, wann man sich am Montag wo melden kann und einem dann weitergeholfen wird.
- Bewerbungsprozesse dürfen für Bewerber ruhig eine Herausforderung sein, aber achten Sie darauf, dass Frustrationspotenzial so gering wie möglich zu halten und ihre Bewerber entsprechend durch den Prozess zu begleiten. Dabei hilft auf jeden Fall persönliche Ansprache anstelle von Emails und Chatrobotern.
Wie HR sich konkret aufstellen könnte, werde ich in weiteren Artikeln der Reihe HR+IT schreiben. Besuchen Sie auch meinen Vortrag am 15.05.2018 um 16:35 Uhr auf der Zukunft Personal Nord im Rahmen des Netzwerkes HR RoundTable. Hier geht es zum Programm und meiner Vortragsankündigung.