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Kulturwandel im Gesundheitswesen mit 2 Praxisbeispielen

Kulturwandel

Einige Jahre war ich in der Gesundheitsbranche in einem Klinik-Konzern mit 10 Standorten und 8000 Mitarbeitenden in kommunaler Trägerschaft tätig. In dieser Zeit habe ich viel über das gesundheitswesen gelernt: mir das Abrechnungssystem für Krankenhäuser erklären lassen, mich auf Twitter mit Ärzten vernetzt und den Film „Der marktgerechte Patient“ angesehen. Wir brauchen dringend einen Kulturwandel. Denn was im Gesundheitssystem vorzufinden ist, erinnert mich stark an das berühmte Gefangenendilemma und damit meine ich nicht, dass die im System arbeitenden Menschen kriminell sind.

Das Wertedilemma

„Das Gefangenendilemma“  ist ein mathematisches Spiel aus der Spieltheorie. Es modelliert die Situation zweier Gefangener, die beschuldigt werden, gemeinsam ein Verbrechen begangen zu haben. Die beiden Gefangenen werden einzeln verhört und können nicht miteinander kommunizieren. Leugnen beide das Verbrechen, erhalten beide eine niedrige Strafe, da ihnen nur eine weniger streng bestrafte Tat nachgewiesen werden kann. Gestehen beide, erhalten beide dafür eine hohe Strafe, wegen ihres Geständnisses aber nicht die Höchststrafe. Gesteht jedoch nur einer der beiden Gefangenen, geht dieser als Kronzeuge straffrei aus, während der andere als überführter, aber nicht geständiger Täter die Höchststrafe bekommt.“ (Quelle Wikipedia)

Menschen erlernen den Beruf des Arztes oder der Pflegefachkraft, um anderen Menschen zu helfen und müssen dann rausfinden, dass sie diese Werte nur bedingt leben können, denn der ökonomische Wert der Patient*innenbehandlung spielt immer eine Rolle. Dass vor diesem Hintergrund die Zusammenarbeit leidet, Menschen sich entscheiden, auszusteigen und sogar Konkurrenz entsteht, ist kein Wunder. Wer will schon in der Kultur wie der oben beschriebenen arbeiten? Um mehr Menschen (wieder) für das Gesundheitswesen zu begeistern, ist dringend ein Kulturwandel notwendig, der die oben beschriebene Zusammenarbeit überflüssig macht.

Zusammenarbeit und ein gesellschaftlicher Auftrag

In den einzelnen Häusern brauchen wir einen Kulturwandel hin zu besserer Zusammenarbeit und mehr Wertschätzung. Das Konkurrenzdenken, welches durch die Einführung der DRG gestärkt wurde, muss bekämpft werden. Denn tun wir das nicht, bleiben wir nach wie vor in unserem Gefangendilemma stecken.  Es wird dann weiterhin so bleiben, dass es Häuser gibt, die wirtschaftlich enorm von der Situation profitieren und andere, die die Höchststrafe aussitzen müssen, denen noch mehr Personal und noch mehr finanzielle Mittel gestrichen werden. Ich bin der Meinung alle müssen diese aktuelle Last gemeinsam tragen, weil wir einen gesellschaftlichen Versorgungsauftrag haben. In einem tollen Vortrag habe ich neulich dazu diese Aussage gehört:

Doch es nützt nichts, zu meckern, der Politik oder dem Fachkräftemangel die Schuld in die Schuhe zu schieben. Jeder einzelne, ob er im Gesundheitssystem arbeitet oder nicht, sollte sich dafür einsetzen, dass hier ein Kulturwandel eintritt. Trotz Vorgaben durch Politik und DRG, hat jede Klinik für sich die Möglichkeit intern etwas zu verbessern. Welche Handlungsfelder es im klinischen Umfeld gibt und wie groß Einflussmöglichkeiten in den einzelnen Handlungsfeldern sind, beschreiben z.B. Vera Starker und Elsa van Amern in ihrem Buch „The Focuses Hospital“. Der Kulturwandel würde auf der arbeitsorganisatorischen Ebene stattfinden.

Weiterhin zeigt besonders das Video „What we share“, dass wir meist doch mehr Gemeinsamkeiten haben als wir denken. Es zeigt mir, es gibt kein: wir und die. Keine privaten und öffentlichen Kliniken, keine Ärzte und Pflegekräfte, keine Gesellschaft und Politik. Wir haben alle Schnittmengen und Gemeinsamkeiten. Diese gilt es zu erkennen und nach ihnen zu handeln.

Positivbeispiele

Ich total dankbar und inspiriert, dass sich immer mehr Menschen versuchen, sich einzubringen, um etwas zu verändern und den Kulturwandel in Unternehmen und Organisationen vorantreiben. Zwei positive Beispiele für solche Organisationen aus dem Gesundheitswesen sind:

Die Waldkliniken Eisenberg

Der Kulturwandel in den Waldkliniken in Eisenberg wurde zusätzlich unterstützt, weil sie die Möglichkeit hatten einen Neubau zu bauen und die Räumlichkeiten entsprechend der neuen modernen Arbeitsformen einzurichten. Als Vorbild hatte David-Ruben Thies „Spitzenmedizin und die Aufenthaltsqualität eines Sternehotels für alle Patient*innen aller Kassen“. Abgesehen davon beton der CEO immer wieder, dass das ganze Projekt nicht teurer war als es gewesen wäre, wenn er die ganzen neuen Ansätze sowie die Mitarbeitenden nicht einbezogen hätte. Doch durch die Einbeziehung in den Veränderungsprozess hat sich eine Identifikation mit dem Kliniken ergeben und es wurde ein Kulturwandel initiiert. Was ich besonders wichtig finde, der Ansatz hier ist, dass das System verändert wurde und nich die Menschen, die in ihm arbeiten resilienter gemacht wurden.

Die selbstorganisierte Station der Chirurgie im Klinikum Aschaffenburg

„Wieso glauben wir eigentlich, dass Selbstorganisation besser ist als klassische Führung?“ ist die Einstiegsfrage von Hubertus Schmitz-Winnethal, Chefarzt der Chirurgie, zu Beginn seines Vortrages über sein Projekt Meine Staion in der New Work im Krankenhaus-Community.

Weil wir für die Erfüllung unserer Bedürfnisse selbstverantwortlich sind. Unsere Bedürfnisse sind unterschiedlich, z.B. das Bedürfnis Spaß. Jeder hat einen anderen Weg, sich das Bedürfnis Spaß zu erfüllen.

Die 4 Räume der Organisation

Hubertus spricht von vier Räumen der Organisation:

4 Räume der Organisation

  • Der individuelle Raum ist unsichtbar, jedoch deutlich spürbar.
  • Der Beziehungsraum ist unsichtbar, jedoch deutlich spürbar.
  • Im operativen Raum läuft alles ab, was mit der Erbringung der Leistungen zu tun hat, die auch in Rechnung gestellt werden können.
  • Im Steuerungsraum wird dafür gesorgt, dass die im operativen Raum gut arbeiten können.

Woher wissen die Menschen im Steuerungsraum jedoch, was gebraucht wird und welche Bedürfnisse es auf individueller Ebene im operativen Raum gibt? Da im Steuerungsraum eher Geschäftsführung, Personalleitung, Betriebsrat sitzen, können sie die Bedürfnisse gar nicht kennen. Denn die Bedürfnisse sind von außen nicht sichtbar. Dazu kommt, dass im operativen Raum die Bedürfnisse der Patient*innen sehr laut sind.

Hubertus führte Workshops mit den Ärzt*innen durch und auch mit den Pflegenden. Gemeinsame Termine mit den Pflegenden stellten sich als wesentlich schwieriger heraus, weil man die Station nicht einfach zu machen kann und es außerdem häufig wechselnde Personen im Team gab. So entstand die Idee, eine Station ins Lebens zu rufen, die von Anfang an mit Menschen besetzt ist, die an der Selbstorganisation Interesse haben und diese ausprobieren wollen. Er glaubt fest daran, dass „Durch die Möglichkeit, sich anders zu verhalten, wird sich auch die Haltung ändern.“ Handlungen und Haltung sind die Grundpfeiler für einen Kulturwandel. Die Station hat übrigens den zweiten Platz des New Work Awards erhalten.

Storytelling und Sichtbarkeit für die Gesundheitsbranche

Beide Projekte haben sehr viel Sichtbarkeit in der Presse erfahren. Wir brauchen Geschichten, die erzählt werden wie der Krankenhaus-Alltag aussieht, mit allen guten und weniger guten Seiten. Wir müssen die Menschen erreichen, dass sie sich für ein funktionierendes Gesundheitssystem einsetzen und dadurch die Politik zwingen ihren Kurs zu überdenken. Gleichzeitig brauchen wir positive Bilder von Krankenhäusern, die zeigen, dass es besser gehen kann. Sie motivieren, gemeinsam die Verantwortung zu übernehmen und Veränderung anzustreben. Wir brauchen dafür aber in den Krankenhäusern mehr Menschen, die bereit sind, sichtbar zu werden und neben ihrem anstrengenden Job, ihre Geschichte erzählen. In Zeiten der Digitalisierung kann das sehr gut über Social Media passieren.

Mein Beitrag

Prozesse werden von Menschen gelebt und Zusammenarbeit passiert durch Menschen. Wenn wir irgendwie aus dieser prekären Situation herauskommen wollen, wenn wir irgendetwas ändern wollen, bleibt uns meiner Meinung nach im Gesundheitswesen gar nichts anderes übrig als uns zusammen zu schließen, die Silowände einzureißen und auf Augenhöhe zu sprechen. Die Personaldecke ist unglaublich knapp und wir dürfen uns einfach keine zusätzliche Arbeit damit machen, dass wir umständliche, veraltete Prozesse leben, dass wir unnötige Hierarchie-Schleifen für Entscheidungen drehen und unser Wissen nicht teilen. Kulturwandel ist allerdings Verhaltensänderung. Damit können wir uns nicht zurücklehnen und warten bis irgendwer entscheidet etwas zu ändern, sondern die Veränderung beginnt in unserem eigenen Verhalten. Die Frage muss lauten, welchen Beitrag kann ich leisten?

Mein Beitrag zum Kulturwandel im Krankenhaus ist, nicht Missionieren oder Überzeugen. Mein Beitrag ist, Vorbild zu sein und Fragen zu stellen. Daher freue ich mich sehr, dass mein Engagement auch bereits so wahrgenommen wird.

Meine Fragen an das Gesundheitswesen

Folgende Fragen möchte in den Raum stellen und die gehen alle etwas an:

  • Liebes Gesundheitswesen, warum musste es erst zu diesem eklatanten Fachkräftemangel kommen bis ihr erkannt habt, dass es so nicht weitergehen kann?
  • Liebes Gesundheitswesen, warum sind in einer Branche, in der Menschen ursprünglich mal begonnen haben zu arbeiten, um anderen Menschen zu helfen, Macht und Hierarchien so wichtig und präsenter als in jeder anderen Branche, die ich bisher kennengelernt habe?
  • Liebes Gesundheitswesen, da wir ja nun in diese prekäre Lage gekommen sind, wie können wir da konzeptionell und strategisch drangehen, um diese Problematik gemeinsam zu lösen und unseren Auftrag als gesellschaftlichen Versorgungsauftrag anerkennen und nicht als Kampf des Überlebens auf Kosten des Gemeinwohls?

Mein Ziel ist es einen Mehrwert für diese Branche schaffen kann und den in ihr arbeitenden Menschen, Handwerkszeug mitgeben kann, Einfluss auf ihre eigene Situation nehmen zu können. Dafür trete ich an. Hierbei finde ich es besonders wichtig, dass wir einen Unterschied machen und nicht die immer gleichen Change-Projekte, die bis jetzt schon nicht fiunktioniert haben. Wir sollten weniger in der Problemanalyse verharren und uns mehr von positiven Beispielen inspirieren lassen.

Große Inspiration bietet immer die „New Work im Krankenhaus„-Community auf LinkedIn. Wenn dich das Thema auch interessiert, komm gern dazu. Wenn du auch einen Kulturwandel in deiner Organisation voran treiben willst und dir dazu Austausch oder Unterstützung wünscht, vereinbare gerne einen kostenlosen Kennenlerntermin mit mir.

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Titelbild von freepik

 

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